Ich bin eine junge Frau, eine studierte Umweltnaturwissenschaftlerin, eine linksgrüne Politikerin – und arbeite in der Baubranche. Mit gewissenhaften portugiesischen Saisoniers, mit denen ich mich mit viel Körpersprache verständige. Mit Baupolieren, die nie etwas aufschreiben, aber sich alles merken können. Mit gelernten Maurern, für die das gesprochene Wort noch Verbindlichkeit besitzt. Und obwohl wir oberflächlich betrachtet wenig gemeinsam haben, entstehend während der Zusammenarbeit oft gute Gespräche:

Zum Beispiel mit dem Baggerführer, während er mit seinem 10-Tonnen Bagger so sorgfältig eine Humusschicht abzieht, wie ich nur mein Wahlcouvert aufreisse. Er ist frustriert von den Städtern, die in die Ferien fliegen, während er seinen Kindern draussen beibringt, welche invasiven Pflanzen unsere Biodiversität bedrohen. 

Oder mit dem Bauführer, während er mir in der Baubaracke einen Kaffee und sein Handy hinhält. “Es””, meint er angewidert, “kann nicht Laster fahren” und zeigt auf ein Foto. Während er raucht einigen wir uns darauf, dass die Person am Steuer ganz offensichtlich schlecht Laster fährt – unabhängig von ihrem Geschlecht. 

Während der Bohrmeister beim Znüni sein “Kaffi Hambi” verdrückt, erklärt er mir, er versuche ja auch, weniger Fleisch zu essen, er werde nur ohne nicht satt. Wir diskutieren über vegetarische Ernährung. Ein gespaltenes Kernrohr. Ich bin beeindruckt von Kaffee mit Hamburger um 9:00. 

Und mir fällt auf: In der Baubranche waren mir nicht nur die Grösse und der Stellenwert eines pünktlichen Znünis fremd. Auch wenn mir der Baupolier zurief: „Der Haufen vor dem Trax muss weg“, fragte ich mich, welche Baumaschine das ist. Und ich merkte: Der Bau-Slang, der allen auf der Baustelle angeboren zu sein scheint, ist nicht meine Muttersprache. Bauleiter, Bauführer, Bauherr – eigentlich simpel, aber für eine Nicht-Bau-Muttersprachlerin anfangs schwierige Nuancen. Zum Glück lassen Aussagen wie  „Hast du die Lehre auf dem Bau gemacht?“ vermuten, dass ich mittlerweile verhandlungssicher Bau-Slang spreche. 

Wenn ich nach der Bausitzung kurz aufs Handy schaue, öffnet sich ein Fenster zu einer Parallelwelt: An einer Demo halten Feminist*innen Plakate in die Luft: Gegen das Patriarchat. Gegen Gewalt an FINTA* und LGTBQIA+ Personen. Und natürlich müssen wir uns für eine gerechtere Welt einsetzen, in der Frauen, Schwule und trans Menschen nicht mehr überproportional von Gewalt betroffen sind. Natürlich müssen wir dafür Bewusstsein schaffen, wie diskriminierend gesellschaftliche Strukturen heute noch sind. Aber manchmal überkommt mich beim Gespräch darüber das gleiche Gefühl, wie zwischen 100 Baumaschinen, deren Namen ich nicht kenne. Und ich denke an die Menschen, deren Muttersprache weder Deutsch, noch queeres Englisch ist. An die Gespräche auf der Baustelle, die ich mit diesen Wörtern nicht hätte führen können. In einer Welt, wo niemand gendert, aber alle wissen, dass man hinter “m3” noch fest oder lose sagen muss. 

Ja, sensible, geschlechtergerechte Sprache ist wichtig. Aber unser Effort, wirklich miteinander zu sprechen, muss grösser sein, als der, es nach allen Regeln der Kunst zu tun. Wichtiger als wie, ist dass wir überhaupt miteinander reden. Und wenn wir uns dabei sprachlich verstehen, ist unsere moralische Schnittmenge oft grösser, als wir meinen. Deshalb darf Alltagssprache nicht durch das Streben nach Inklusivität Menschen mit anderen Lebensrealitäten ausgrenzen. Ihnen das Gefühl geben, nicht mitreden zu können, bei Themen, wo sie etwas zu sagen oder zu hören hätten. Oder wo sie eventuell schon viel richtig machen: Bei der Bausitzung lässt mich der Bauführer ausreden, fällt mir nicht ins Wort. Wohl nicht, weil er die aktuellste Literatur zu Mansplaining gelesen hat. Danach kommt die Sprache auf FINTA*, LGTBQAI+ und Patriarchat. Der Bauführer lacht aufrichtig: „Diese Wörter habe ich noch nie gehört.“ Wir laufen zurück auf die Baustelle.

Marlene Fischer entnimmt Proben aus einem Bagger-Schacht im Rahmen Altlasten-Untersuchung (zvg.)